Für unabhängige Arbeitnehmerpolitik • Für die soziale Einheit
In Europa richtet sich die gesamte Aufmerksamkeit auf zwei Brennpunkte, die mit einander verbunden sind:
-Auf die Wahlen in Griechenland am 17. Juni:
Das Finanzkapital und alle herrschenden Kräfte fürchten, dass sich der 6. Mai, als das griechische Volk in den Wahlen dem Troika-Memorandum eine klare Abfuhr erteilt und die Bildung einer Regierung zur Umsetzung des Memorandums nicht zugelassen hat, am 17. Juni wiederholen könnte. Während die Arbeitnehmer und Völker aus der Erhebung des griechischen Volkes große Hoffnung auf einen erfolgreichen Widerstand in ganz Europa schöpfen - gegen die Diktate der Troika, gegen die Euro-Rettungspolitik, die alle Völker mit der Katastrophe bedroht, in die sie schon Griechenland gestürzt hat.
-Auf die Abstimmung von ESM und Fiskalpakt in Deutschland:
Wird es der Regierung Merkel gelingen, die Ratifizierung der zwei neuen europäischen Verträge im Bundestag und Bundesrat durchzusetzen, und damit für den entscheidenden Durchbruch für alle Regierungen Europas zu sorgen?
Mit diesen Verträgen wollen sie endlich die diktatorischen Instrumente für die EU/Troika und die Regierungen schaffen, um gegen den Widerstand der Arbeitnehmer und Völker den dauerhaften Milliarden-Abfluss aus den öffentlichen Haushalten für die Schuldendienste an Gläubigerbanken und Finanzfonds zu garantieren; um die Demokratie, die Souveränität der Völker, um alle sozialen Forderungen und Errungenschaften, die Arbeitnehmer- und Gewerkschaftsrechte unter einer Super-Schuldenbremse und radikalen Strukturanpassungs-Reformen begraben zu können. Ein Scheitern der Ratifizierung der Verträge am Widerstand der Völker würde der EU und den Regierungen diese mörderischen Instrumente aus der Hand schlagen.
Wird also die Regierung Merkel die Verträge durchpeitschen können?
Merkel und der deutsche Imperialismus sind sich durchaus im Klaren über ihre Verantwortung für die Durchsetzung der Verträge. Das ist ihnen genügend eingebläut worden vom Finanzkapital, von Obama und dem IWF, die darin auch ihr Instrument sehen, ihre Interessen in der Situation der ausweglosen Krise gegen die Auflehnung der Arbeitnehmer und Völker zu verteidigen.
Doch die Regierung Merkel, die die Durchsetzung von ESM und Fiskalpakt gegen die tiefe Ablehnung in ganz Europa stemmen muss, sieht sich selbst im eigenen Land entschieden geschwächt: durch die sich häufenden Wahlniederlagen (zuletzt dem Desaster in NRW), durch die Streikbewegung der Arbeiterschaft und die sich vermehrenden Kämpfe des Millionenheeres der zu entwürdigenden Billiglöhnen verurteilten Beschäftigten, die nach ihren Gewerkschaften greifen, um zu kämpfen für „Schluss mit der Sparpolitik, der Schuldenbremse, des Lohnverzichts und der Deregulierung“.
Die Regierung Merkel, die die zwei Verträge zur Sicherung dauerhafter Milliarden-Ströme an die Finanzmärkte aus den deutschen Haushalten durchbringen muss, sieht sich mit dem wachsenden Risiko sozialer Explosionen konfrontiert. Denn die Bevölkerungsmehrheit, die schon bisher einen hohen Preis für diese zutiefst unsoziale Politik gezahlt hat, spürt sehr klar, dass die damit verbundene gigantische deutsche Staatsverschuldung bald in Form jener barbarischen Sparpolitik und Strukturreformen auf sie zurückschlagen wird, die heute vor allem auf das griechische Volk niederbrechen.
Die Regierung Merkel braucht den ESM und Fiskalpakt, um über alle Widerstände hinweg gestützt auf die noch schärfere Schuldenbremse mit allen sozialstaatlichen Errungenschaften, der Öffentlichen Daseinsvorsorge, in Bund, Ländern und Kommunen bis zu Ende aufräumen zu können.
Welcher Arbeitnehmer erkennt nicht in den Verträgen die brutale Verschärfung dieser Agendapolitik, die jahrelang gegen sie gewütet hat?
Welcher Arbeitnehmer erkennt darin nicht die Form einer Super-Schuldenbremse und Super-Agendapolitik?
Welcher Arbeitnehmer sieht nicht eine Schande darin, dass die SPD-Führung der Regierung Merkel zu Hilfe eilen will und ihr die volle Unterstützung für ESM und Fiskalpakt zusichert? Das verschleiern auch nicht die von der SPD-Führung geforderten „Ergänzungen“ zum Fiskalpakt, wie sie zuletzt im Antrag für den SPD-Konvent (kleinen Parteitag) am 17. Juni aufgezählt werden und die in keiner Weise die zutiefst sozial zerstörerischen Konsequenzen dieses Vertrags aufheben. Bei dem Feilschen um ergänzende „Wachstumsimpulse“ entpuppen sich diese bei genauem Hinsehen als das, was Merkel mit ihrem 6-Punkte-Plan anstrebt: Verkauf von Staatsbetrieben, Lockerung des Kündigungsschutzes, Ausweitung der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse, sowie Sonderwirtschaftszonen und den Aufbau von Privatisierungsagenturen nach dem Muster der deutschen Treuhand. Es geht dabei also lediglich um ein Ablenkungsmanöver.
Und was die Finanztransaktionsteuer angeht – abgesehen davon, dass alle Welt daran zweifelt, dass sie jemals kommen wird – würde sie nur einen lächerlichen Bruchteil, wenn überhaupt, von all den Steuergeschenken ausgleichen, die vor allem seit der Schröder-Regierung dem Finanzkapital, den Konzernen und großen Vermögen gewährt wurden.
Die zunehmende Befremdung und Verunsicherung der SPD-Bundestagsabgeordneten über das Vorgehen der Parteiführung, die die SPD zum Mehrheitsbeschaffer für Merkel und die EU-Verträge degradiert, ist in den letzten Tagen und Wochen nur gewachsen.
In dieser Situation hat die Initiative ihre Kampagne für das „Nein zu ESM und Fiskalpakt“ vervielfacht. Immer mehr Gliederungen der Gewerkschaften, aber auch aus der SPD wenden sich mit Resolutionen und Aufrufen an die SPD-Abgeordneten im Bundestag wie in den Landtagen mit der Aufforderung, Nein zu ESM und Fiskalpakt zu stimmen und sich dafür zu engagieren, dass die SPD im Bundesrat mit Nein stimmt. So hat jetzt die Landesdelegiertenversammlung der GEW Berlin beschlossen, die Bundestagsabgeordneten aufzufordern, einer Ratifizierung beider Gesetzeswerke nicht zuzustimmen und die Mitglieder des Berliner Abgeordnetenhauses aufgefordert, dafür einzutreten, dass der Berliner Senat den Fiskalpakt im Bundesrat ablehnt. Der ver.di-Bezirksvorstand Berlin schreibt Anfang Juni in einem Brief an die Gewerkschaftsvorsitzenden Sommer (DGB) und Bsirske (ver.di): „Diese von der Regierung Merkel vorangetriebene Politik klar zu verurteilen und mit einem öffentlichen Aufruf die Bundestagsabgeordneten aufzufordern, mit Nein zu ESM und Fiskalpakt zu stimmen“. Der Berliner SPD-Landesparteitag war mehrheitlich für das Nein zum vorliegenden Fiskalpakt (s. Dokumente in dieser Zeitung, sowie die Berichte in den vorhergehenden Ausgaben). In einem Brief vom 11. Juni hat jetzt der Vorsitzende der 2,1 Millionen mitgliederstarken Gewerkschaft ver.di, Frank Bsirske, die Bundestagsabgeordneten aufgefordert, dem Fiskalpakt nicht zuzustimmen.
Teilnehmer dieser Initiative haben gemeinsam mit Gewerkschaftern, politisch Engagierten und Sozialdemokraten zu einem Europäischen Treffen in NRW zur Koordinierung des gemeinsamen Kampfs gegen das Diktat der Troika aus EU, IWF und EZB, gegen die Euro-Rettungspolitik eingeladen. Und weil sie die wirkliche Stimme der deutschen Arbeiterschaft gegen die beispiellose Kampagne, die von Merkel wie von allen Anhängern und Auftraggebern der Troika-Diktate in ganz Europa zur Terrorisierung des griechischen Volkes entfesselt wird, zu Gehör bringen wollen, und für die Forderung nach die uneingeschränkte Respektierung des souveränen, demokratischen Willens des griechischen Volkes.
Carla Boulboullé
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