Soziale Politik & Demokratie

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Aus: Soziale Politik & Demokratie Nr. 276 | 12. April 2012 | Seite 3 | Zur Diskussion

Krise der parlamentarischen Demokratie

Alle letzten Wahlen, in NRW am 9. Mai 2010, in Berlin, am 18. 9. 2011, in Mecklenburg Vorpommern am 4. 9. 2011, sowie am 25. März im Saarland und selbst die Oberbürgermeisterwahl in Frankfurt/Main wurden zu einer massiven Absage der Wählermehrheiten an die schwarz-gelbe Regierung Merkel und ihre Politik: an die Aufbringung immer gigantischerer Milliardensummen für die Bedienung der Gläubigerbanken und Spekulanten und die Spar- und Verarmungsprogramme für die Bevölkerung. Und sie war ebenso eine Absage an alle Landesregierungen, die - egal welcher Couleur, ob unter CDU, SPD oder den Grünen - diese „Einheitspolitik des Sparens und Schuldenabbaus“ umsetzen und die Länder und Kommunen zunehmend in den sozialen Ruin treiben.

„Die Bundeskanzlerin gerät mit ihrer schwarz-gelben Koalition unter gewaltigen Druck“, kommentiert die FAZ nach den letzten Wahlen am 25. März. Die Serie von Wahlniederlagen, geprägt von den z.T. dramatischen Stimmverlusten für die CDU und durch den Fall der FDP ins Bodenlose, bezeugt den Abgrund, der zwischen der bürgerlichen Koalition unter Merkel und der Bevölkerung aufklafft.

Die schwer angeschlagene Regierung Merkel kann nur überleben, solange die SPD-Führung über die Fähigkeit verfügt, sie im Bundestag aus der Opposition heraus bei der Durchsetzung - oder auf Landesebene durch die Umsetzung - ihrer Politik der Zersetzung der Demokratie und des Sozialstaates zu unterstützen. Doch die Wahlverweigerungen auch für die SPD, wie die wachsende Zahl von Abgeordneten, die sich nicht länger dieser Politik im Interesse des erpresserischen Finanzkapitals unterwerfen wollen, weisen unübersehbar daraufhin, dass die Fähigkeit der SPD-Führung, als Hilfstruppe für Merkel zu fungieren, zunehmend verschleißt

„Regieren am Existenzminimum“ (FAZ 26. 3.)

Unter dem Diktat des von Merkel im Saarland eingesetzten Stabilitätsrates zur Erzwingung der Umsetzung der in der Landesverfassung verankerten Schuldenbremse soll der Landeshaushalt jährlich um 60-70 Millionen Euro gekürzt werden. SPD-Spitzenkandidat Maas war mit dem klaren Ziel angetreten, den Verbleib der CDU in der Regierung unter allen Umständen zu sichern und durch eine Große Koalition die konsequente Durchführung der von der EU und Regierung Merkel geforderten Schuldenabbaupolitik zu garantieren: Sparmaßnahmen sollen vor allem bei den Beschäftigten im öffentlichen Dienst ansetzen, bei Entlassungen in der Verwaltung und im Gesundheitsbereich.

Das Wahlrecht ist eine Errungenschaft der Demokratie. Doch was gibt es zu wählen, wenn sich alle Parteien ausdrücklich der Politik der Schuldenbremse, d.h. dem Diktat der Spar-, Schulden- und Lohnabbaupolitik verschreiben? Der Mehrheitswille der Wähler, im Bund und in den Ländern endlich Schluss zu machen mit der Politik von Merkel, mit der Politik der Bedienung der Anforderungen des Finanzkapitals, für die sie ihre erkämpften elementaren sozialen und demokratischen Errungenschaften opfern sollen, konnte sich im Saarland ebenso wenig wie in den anderen Wahlen einen Ausdruck verschaffen. So wichen die einen in die Wahlverweigerung und andere in Proteststimmen für die politisch inhaltsleeren Piraten aus.

Die beiden großen Parteien CDU und SPD, „die noch vor zwei Jahrzehnten mehr als 90% der Stimmen erhielten“, wurden mit „kollektiver Verweigerung“ gestraft. Die uneingeschränkte Festlegung der SPD unter Maas auf die Große Koalition, „wirke wie eine Mobilisierungsbremse“ für SPD-Wähler, war selbst aus dem SPD-Vorstand zu hören. Mit einer knappen Zweidrittelmehrheit der Mandate vertritt die künftige Koalitionsregierung an der Saar „den politischen Willen von kaum 40% der Saarländer“. (alle Zitate: FAZ, 26. 3.) Das ist die Ursache für die tiefe Krise der parlamentarischen Demokratie.

Die Arbeitnehmer, die für ihre Forderungen keine politische Lösung in den Wahlen finden können, haben sich in machtvollen Streiks zu Hunderttausenden mit ihren Gewerkschaften organisiert im Kampf gegen die Unterwerfung unter die Schuldenbremse und Lohnverzicht, für eine „kräftige Reallohnerhöhung“.

Im NRW tritt Kraft wie schon im Mai 2010 mit Versprechungen an: Investitionen in die Bildung, Abschaffung der Gebühren von der Kita bis zur Uni, Wiederherstellung der Handlungsfähigkeit der Kommunen, Schaffung „guter Arbeit“ gegen die Ausweitung der prekarisierten Arbeitsverhältnisse.

Doch wen wird sie noch täuschen können mit diesen vagen Versprechungen eines politischen Wechsels? Sie selbst straft sich Lügen, wenn sie gleichzeitig dem Schuldenabbau oberste Priorität einräumt und dafür eine strenge „Ausgabendisziplin“, also Einsparungen in allen Ressorts verordnen will. Um die Neuverschuldung bis 2020 – oder möglichst noch in kürzerer Frist – auf Null zurückzuführen, will sie die Landesmittel um 6 Milliarden kürzen.

Sie diktieren die »griechische Lösung« (eine Stimme aus NRW)

Aus dem Versprechen von „Hilfen für die Kommunen“ wurde der „Städtepakt Stadtfinanzen“. Gelder, die die Kommunen in besonderen Notlagen erhalten, müssen zwingend zur Tilgung der Schulden und Zinslasten eingesetzt werden, d.h. wandern gleich weiter in die Kassen der Gläubigerbanken. Nach dem Prinzip der Euro-Rettungsfonds mit den „strengen Sparauflagen“ müssen die Kommunen im Gegenzug einen „Haushaltssanierungsplan“ erstellen, d.h. eine Liste von Kürzungsmaßnahmen: Streichung von Stellen, von sozialen Leistungen bis hin zur Schließung von Schulen usw. So z.B. soll die Gemeinde Marienheide (14.268 Einwohner) in den nächsten 5 Jahren ca. 6,3 Mio. Euro als „Hilfe“ bekommen. Dafür muss sie bis 2016 in ihrem Haushalt Kürzungen von 12,3 Mio Euro erbringen.

„Gute Arbeit“, d.h. nicht dem Niedriglohnsektor den Kampf anzusagen. Keinem der 100.00e in NRW zu Billiglöhnen verurteilten Beschäftigten wird so geholfen. Dagegen könnte mit Investitionen in Krankenhäusern, Schulen, Infrastruktur… ein öffentliches Beschäftigungsprogramm geschaffen werden, mit regulären Normalarbeitsplätzen im öffentlichen Dienst, bezahlt nach dem TvÖD.

Mit ihrer Unterwerfung unter die Schuldenabbaupolitik wird Kraft zur nächsten „Mobilisierungsbremse“ für die Arbeitnehmerwähler der SPD. Einige werden SPD wählen, um die erneute Machtübernahme durch die CDU zu verhindern. Einige werden ihre Stimme aus Protest den Piraten geben, die sich jeder ernst zu nehmenden politischen Aussage enthalten, oder auch an „Die Linke“.

Eine wirkliche Mobilisierung für den politischen Wechsel kann nur ausgehen von sozialdemokratischen Kandidaten, die sich für die Erfüllung der sozialen und demokratischen Forderungen der Bevölkerungsmehrheit verpflichten: die es wagen, sich der Unterwerfung unter das Diktat der Schuldenbremse, der Schulden-, Spar und Lohnabbaupolitik Merkels und der EU zu verweigern.

Die sich aber auch darauf verpflichten, für ein Nein zu ESM und Fiskalpakt einzutreten, die auch Deutschland,  wie allen Ländern Europas, eine verschärfte Schuldenbremse und mörderische Sozialkahlschlagprogramme diktieren wollen; die von einer SPD-Landesregierung verlangen, bei der Ratifizierung dieser Verträge im Bundesrat mit Nein zu stimmen.

Carla Boulboullé


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