Soziale Politik & Demokratie

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Aus: Soziale Politik & Demokratie Nr. 274 | 8. März 2012 | Seite 3 | Zur Diskussion

Politischer Verschleiß...

Am 27. Februar hat die Regierung Merkel das zweite Griechenland-»Rettungspaket« in einer Eilabstimmung durch den Bundestag gepeitscht. Zu ihrem Antrag gehörte eine 726-seitige Anlage, in der alle brutalen Sparmaßnahmen gegen das griechische Volk aufgeführt werden und denen alle Abgeordneten, die Ja gesagt haben, damit zugestimmt haben.

Zum ersten Mal verfehlte Merkel die sog. Kanzlermehrheit. Damit ist die Frage aufgeworfen: verschleißt die politische Fähigkeit dieser angeschlagenen Regierung, länger im Interesse des Finanzkapitals und unter dem Druck von Obama ihrer Führungsrolle für die Aufbringung der immer neuen Milliardenbeträge für die Bedienung der Finanzmärkte und der brutalen Sozialkahlschlagpolitik gegen die Völker gerecht zu werden - gegen die zunehmend wachsenden Widerstandsbewegungen der Arbeitnehmer in ganz Europa und Deutschland?

Am 29./30. März will Merkel den Euro-Rettungsschirm ESM mit seinen „strengen Auflagen“, der faktisch außerhalb jeder parlamentarischen Kontrolle beliebig erweiterbar ist, und den untrennbar mit dem ESM verbundenen Fiskalpakt in den Bundestag einbringen und beide gemeinsam am 25. Mai verabschieden lassen (am 15. Juni im Bundesrat). Für den Fiskalpakt, der in allen europäischen Ländern die Schuldenbremse gesetzlich verbindlich einführen soll, braucht Merkel die Zweidrittelmehrheit. Denn mit der Unterzeichnung dieses Paktes muss sich Deutschland völkerrechtlich verpflichten, künftig am Grundgesetz keine Änderungen mehr vorzunehmen, welche die Schuldenbremse aushebeln. (!)

Für diese Attacke gegen die Demokratie und den Sozialstaat braucht die „schwer beschädigte“ Regierung Merkel die Unterstützung der SPD.

Und natürlich ist zu erwarten, dass die SPD-Führung die SPD-Abgeordneten erneut unter Druck setzen wird, damit sie nach dem Ja zum EFSF und zum zweiten Griechenland-Paket der Regierung Merkel nun auch mit ihrem Ja bei der Durchsetzung des ESM und Fiskalpakts helfen. SPD-Fraktionschef Steinmeier hat der Regierung Merkel schon Gespräche darüber angeboten, wie die Ratifizierung des Fiskalpaktes unterstützt werden kann.

Doch es ist unübersehbar, dass es auch für die SPD-Führung politisch zunehmend schwierig wird, die Abgeordneten zu zwingen, sich der Euro-Rettungspolitik Merkels im Interesse der erpresserischen Forderungen des Finanzkapitals zu unterwerfen. Sieben Abgeordnete haben dem Griechenlandpaket ihre Zustimmung verweigert, einer hat sich enthalten. Merkels „Meilenstein“ für die Euro-Rettung, der Fiskalpakt, sei eine Bedrohung für alle Arbeitnehmer in Europa, warnt der Bundestagsabgeordnete und designierte AfA-Bundesvorsitzende Klaus Barthel anlässlich seiner Nein-Stimme zum Griechenlandpaket.

62% der Bevölkerung lehnen die Politik der Milliardenaufgebote an die Banken und Spekulanten und die Verelendungsprogramme gegen die Arbeitnehmer und Völker ab, die mit dem ESM und Fiskalpakt für ganz Europa verallgemeinert werden sollen. Die Beschäftigten im Öffentlichen Dienst wie in der Metallindustrie sind entschlossen, gegen das doppelte Diktat der Schuldenbremse/leeren Kassen und der Wettbewerbsfähigkeit zu streiken, um nach jahrelangem Lohnverzicht ihre Forderung nach „kräftiger Erhöhung ihrer Löhne und Gehälter“ zu erkämpfen, sowie die Aufhebung der Armutslohnverhältnisse, zu denen Millionen Arbeitnehmer verurteilt sind. Und in dieser Situation wollen sie zwei Verträge verabschieden, die dieses doppelte Diktat allen Ländern Europas in brutalster Form aufzwingen wollen?

Kann es da überraschen, dass die Arbeitnehmer von ihren Gewerkschaftsverantwortlichen eine öffentliche Verurteilung dieser antisozialen und antidemokratischen Politik erwarten?

Während der DGB-Vorsitzende Sommer es sich nicht nehmen ließ, 14 Tage vor der Abstimmung zum Griechenlandpaket in einem Interview in der „Bild“ noch einmal zu betonen, dass er den „Kurs der Euro-Rettung grundsätzlich unterstützt“, vermieden die Verantwortlichen der anderen DGB-Einzelgewerkschaften dieses Mal jede Stellungnahme.

Die ver.di-Kollegen aus Berlin, die auf dem ver.di-Bundeskongress anlässlich der Abstimmung zum Banken-Rettungsschirm EFSF eine breite Mehrheit der Delegierten für die Forderung an die Bundestagsabgeordneten gewinnen konnten, für die Rücknahme der Sparauflagen zu stimmen, haben jetzt mit ihrem ver.di-Bezirk am Tag der Abstimmung zum Griechenlandpaket zu einer Kundgebung vor dem Bundestag aufgerufen: „Solidarität mit dem griechischen Volk heißt für uns: Nein zum Sozialkahlschlag gegen das griechische Volk, zu ESM und Fiskalpakt“.

Hunderte Gewerkschafter haben einen Aufruf an die Bundestagsabgeordneten unterschrieben:

„Abgeordnete, die im Namen der Demokratie sprechen und die sich auf Interessen der arbeitenden Bevölkerung berufen, können nur Nein sagen

Nein zum Diktat der Regierung Merkel und der Troika aus EU, EZB, IWF gegen die Demokratie und die Souveränität der Völker!“

„Wir treten dafür ein und ergreifen in den Organen der Gewerkschaften Initiativen dafür, dass die Verantwortlichen der DGB-Gewerkschaften ihrem Auftrag als Interessensvertretung der Arbeitnehmer und Demokratie nachkommen und alle ihre Möglichkeiten wahrnehmen, um ihre Verurteilung dieser von Merkel vorangetriebenen Politik zu erklären - einer Politik die die nationale Souveränität und Demokratie zertrümmert und die die Zerschlagung der Arbeitnehmer- und Gewerkschaftsrechte diktiert“, schreiben die Gewerkschafter, Sozialdemokraten und politisch Engagierte, die den o.g. Unterschriftenaufruf initiiert haben, in ihrer Erklärung „Nein zum ESM und Fiskalpakt“ (zu beziehen über die Redaktion).

Kollegen der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen in der SPD (AfA) aus verschiedenen Bundesländern, die sich an die SPD-Bundestagsabgeordneten mit der Forderung gewandt haben, zum Griechenlandpaket, wie zum ESM und Fiskalpakt Nein zu sagen, erklären, dass sie im Gespräch mit anderen AfA-Unterbezirken, die ebenfalls in diesem Sinne aktiv waren, eine Diskussion und Beschlussfassung zu diesen Fragen auf dem AfA-Bundeskongress vom 20.-22. April, d.h. vor der endgültigen Abstimmung, vorbereiten werden.

Die Träger der o.g. Erklärung „Nein zum ESM und Fiskalpakt“ laden Gewerkschafter, politisch Engagierte und Sozialdemokraten ein, sich gemeinsam in politischen Initiativen zu sammeln, um die Kraft für eine breite Unterstützung der Unterschriftensammlung unter den Aufruf an die Bundestagsabgeordneten zu verstärken und in den Gewerkschaften dafür einzutreten, dass die Verantwortlichen ihre Stimme für die Unterstützung der Forderungen an die Abgeordneten in die Waagschale werfen.

Diese Zeitung, die in dieser Nummer mit 4 Sonderseiten über die Kampagne berichtet, versteht sich weiter als Forum für den Austausch der Erfahrungen und Ergebnisse dieses Engagements.

Carla Boulboullé


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