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Dutzende Streikende wurden in der Platinmine Marikana von der Polizei ermordet

„Das ist die Folge der politischen Unterwerfung unter das Kapital, wie sie die Regierungspartei betreibt“

Interview mit Lybon Mabasa,
Vorsitzender der Socialist Party of Azania (SOPA, Südafrika)

Frage: Am 16. August hat die Polizei der südafrikanischen Regierung auf die Streikenden in der Platinmine von Marikana, die dem britischen Konzern Lonmin gehört, geschossen und mehrere Dutzend streikende schwarze Arbeiter getötet. Schon am nächsten Tag verurteilte die Zeitung »The Sowetan« ein „Blutbad“, und die »Business Day« zog einen Vergleich mit „den schlimmsten Massakern in der Zeit der Apartheid“. Die Socialist Party of Azania (SOPA), deren Vorsitzender Du bist und die in der Internationalen Verbindung der Arbeitnehmer und Völker (IAV) mitarbeitet, hat das Massaker verurteilt.

Lybon Mabasa: Weil sie einen Lohn zum Leben forderten, wurden etwa die 50 Bergleute in Marikana kaltblütig im Kugelhagel der Polizei getötet. Ihr Tod ist die direkte Folge der politischen Unterwerfung unter das Kapital, wie sie die Regierungspartei betreibt.

Die von den Kugeln durchsiebten Leichen der Bergleute waren noch nicht einmal erkaltet, als schon auf den Websites des Finanzkapitals verkündet wurde, dass „der Platinpreis auf dem Derivatemarkt auf den Höchststand des Monats geklettert ist“. Der Ausbeutungsmechanismus ist simpel: Die Unternehmer betrachten jede Forderung der Arbeiter nach einem gerechten Lohn für ihre Arbeit als Gefahr für ihre Profitrate.

Sie wenden sich an den ANC und dessen Partner in der Dreierkoalition (1), den südafrikanischen Gewerkschaftsbund Cosatu, damit diese die Forderungen ihrer Mitglieder drücken.

Und natürlich schiebt man die Verantwortung für die Toten den Arbeitern selbst, die ihre legitimen Forderungen vorbrachten, in die Schule.

Frage: Wie lauteten die Forderungen?

Lybon Mabasa: Südafrika ist der Hauptproduzent in der Welt für Platin, das seinen weißen Eigentümern unglaublichen Reichtum einbringt. Dagegen leben die Bergleute in Baracken ohne fliessend Wasser und verdienen ca. 4.000 Rand (400 Euro) im Monat. Die Streikenden fordern einen Monatslohn von 12.500 Rand.

Selbst das ultrarepressive Apartheidregime hätte es sich zweimal überlegt, bevor es zugeschlagen hätte. Der Streik dauerte schon einige Zeit, und man hätte denken können, dass eine Regierung, die sich um die Bevölkerung kümmert, bessere Problemlösungen gefunden hätte, statt schließlich brutale Gewalt anzuwenden, wie sie es getan hat. Der Unternehmerverband der Minen und die Polizei wussten sehr gut, dass die Gemüter erhitzt waren und die Arbeiter die Schnauze voll hatten von den Ausweichmanövern der Unternehmer. Trotzdem wollten sie den Konflikt im Kampf entscheiden.

Frage: Die Streikenden wurden zunächst Opfer einer Aussperrung (2), eine Politik, die wie Du erinnert hast, ihren Ursprung in den Abkommen hat, die aus der »Konvention für ein demokratisches Südafrika« (Codesa) hervorgingen. Diese wurde zwischen den ANC-Führern und den ehemaligen Führern des rassistischen Apartheidregimes geschlossen.

Lybon Mabasa: Die Verhandlungen über das Codesa-Abkommen haben mit einem totalen Betrug an der schwarzen Mehrheit geendet. Codesa hat die schwarze Mehrheit vor allem des Grund und Bodens, der Wohnungen und Arbeit beraubt. Es ist Tatsache: Die privilegierte Stellung der Weißen wurde beibehalten und geschützt von einer Regierung, die nicht hauptsächlich aus Weißen besteht. Die Verhandlungsparteien beim Codesa haben die „Aussperrungsklausel“ beschlossen, deren Ziel die Schwächung der Gewerkschaftsbewegung ist, sowie der Angriff auf die hart erkämpften in den Tarifverträgen verankerten Errungenschaften. Der Einsatz von Streikbrechern wurde zur ständigen Praxis, um die Arbeiter gegeneinander auszuspielen.

Frage: Die Presse erwähnt die Rivalität zwischen der historischen Bergarbeitergewerkschaft NUM, Mitglied im Gewerkschaftsbund Cosatu, die den Streik verurteilt hat, und einer Abspaltung, der AMCU, die von einem Teil der ehemaligen NUM-Mitglieder und -kader gegründet wurde.

Lybon Mabasa: Marikana wirft in dramatischer Form die Frage der Unabhängigkeit der Gewerkschaftsbewegung auf, die völlig frei gegenüber den Unternehmern und der Regierung agieren müsste. In diesem besonderen Fall hat sich herausgestellt, dass die regierungsnahe Führung der historischen Gewerkschaft NUM in den letzten Konflikten mit den Unternehmern solidarisch war. Statt ihre Seele wiederzufinden und mit den Bindungen der Unterordnung zu brechen, die sie in einer tödlichen Umklammerung halten, hat sie bei ihren Klassenfeinden Trost gesucht.

Wir in der SOPA sind nicht für Spaltungen der Gewerkschaftsbewegung: Wir meinen, dass die Arbeiterinteressen von einer vereinten Gewerkschaftsbewegung besser vertreten werden. Doch die Einheit verlangt nach Unabhängigkeit von den Unternehmern und der Regierung. Jedes Mal, wenn die Gewerkschaftsbewegung sich unterordnet, schadet sie sich selbst. Die Aussperrung ist eine Provokation. Doch die Situation wird noch schlimmer, wenn sich einige Gewerkschaftsverantwortliche mit den Verantwortlichen für die Aussperrung verbrüdern.

Wir weisen jeden Versuch zurück, die Arbeiter zu verurteilen, die von ihrem Recht Gebrauch gemacht haben, für ihre Forderungen zu kämpfen. Wenn die Unternehmer auf die Forderungen ihrer Beschäftigten eingegangen wären und die Regierung mit ihren Institutionen, die den Auftrag haben, die Gesetze anzuwenden, auf die Arbeiter gehört hätten, hätte das Massaker vermieden werden können.

Die SOPA steht bedingungslos auf der Seite der Arbeiter. Einmal mehr wenden wir uns an die Arbeiterbewegung, damit sie ihre volle Verantwortung bei der Verteidigung der Interessen der Arbeiterklasse übernimmt – die ihr das Mandat gegeben hat.

Frage: Am 17. August hat die private Minengesellschaft Lonmin – die weißen Kapitalisten gehört – vor „illegalen Aktionen, die die Industrie gefährden“, gewarnt. Eure Partei vertritt die historische Forderung der nationalen Bewegung: die Verstaatlichung der Minen.

Lybon Mabasa: Tatsächlich sagt die SOPA mit Nachdruck, dass zur Beendigung der Ausbeutung und Schaffung der Bedingungen, die der schwarzen Arbeiterklasse ermöglichen, korrekte Löhne zu erhalten, die natürlichen Ressourcen im Interesse aller verstaatlicht werden müssen. Doch nachdem der ANC an die Macht gelangte, hat er sofort die Perspektive der Verstaatlichung als ersten Schritt zum Sozialismus aufgegeben. Ein solcher Verzicht war die von den Gurus des IWF und der Weltbank verlangte Bedingung. Sie wollen, dass die „Marktwirtschaft“ für alle Länder in der Welt verbindlich wird.

Anmerkungen:

(1) Seit den Abkommen von Kempton Park (1994), die das rassistische Apartheidregime unter Beibehaltung der Interessen der weißen Minderheit beendet haben, besteht die südafrikanische Regierung aus einer Dreierkoalition des Afrikanischen Nationalkongresses (ANC), des Gewerkschaftsbundes Cosatu und der Kommunistischen Partei Südafrikas (SACP).

(2) Aussperrung: die Streikenden werden durch Streikbrecher ersetzt.


Die Internationale Verbindung der Arbeitnehmer und Völker (IAV) hat sich an alle Organisationen der demokratischen und der Arbeiterbewegung mit dem dringenden Appell gewandt, von der Regierung Südafrikas zu fordern:

>>> ALARMAUFRUF der Internationalen Verbindung der ArbeiternehmerInnen und Völker (IAV)


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