Soziale Politik & Demokratie

Für unabhängige Arbeitnehmerpolitik • Für die soziale Einheit

Startseite

Aktuelle Texte zur Diskussion

Aktuelle Texte

Abschlusserklärung des Europäischen Treffens vom 30. Juni 2012 in Köln

Es ist höchste Zeit für die Entstehung einer breiten Bewegung gegen die Ratifizierung des EU-Fiskalpaktes und um die von der Troika entfesselte Offensive gegen die Arbeitnehmer und Völker in unseren Ländern zurückzuschlagen.

Wir, engagierte Kollegen aus Griechenland, Deutschland, Belgien, Dänemark, Spanien, Frankreich, Großbritannien, Ungarn, Italien und der Schweiz, haben uns an diesem 30. Juni 2012 in Köln versammelt als Antwort auf den Einladungsbrief unserer deutschen Kollegen, die seit Monaten den Kampf gegen die Ratifizierung des (VSKS-) Fiskalpaktes und des ESM führen.

Unter uns sind Gewerkschaftsmitglieder und -verantwortliche, von denen einige Mitglieder von Parteien sind, die sich auf die Verteidigung der Arbeitnehmerinteressen und der Demokratie berufen und im eigenen Namen als Mitglieder der SPD (Deutschland), der Syriza (Griechenland), der Labour Party (Großbritannien) sprechen, oder das Mandat ihrer Partei erhielten, wie die Genossen der POI (Frankreich).

Wir versammeln uns nur wenige Stunden nachdem der Europäische Rat seine Arbeit beendet hat und Merkel in einem Gewaltakt am Abend des 29. Juni die Ratifizierung des Fiskalpaktes und des ESM vom Bundestag und Bundesrat beschließen ließ.

Die in Brüssel versammelten 27 Staats- und Regierungschefs haben einmal mehr ihre völlige Unfähigkeit bewiesen, die Krise einzudämmen, welche die Industrien, das Gesundheits- und Bildungswesen und die öffentlichen Dienste und Daseinsvorsorge in unseren Ländern verwüstet und überall Elend und sozialen Abstieg provoziert.

Sie haben beschlossen, einmal mehr mit massiven ausgeklügelten Finanzspritzen auf die dringenden Forderungen der Finanzmärkte zu antworten und die Kosten von deren Bankrott auf alle Völker abzuwälzen. Sie haben überdies jede Illusion zerschlagen über irgendeine „Neuorientierung“ der europäischen Politik oder „Neuverhandlung“ des (VSKS-) Fiskalpaktes.

Sie haben beschlossen, über den (VSKS-) Fiskalpakt zu schweigen und so zu tun, als ob er bereits ratifiziert sei, nicht länger zu warten und seine wichtigsten Bestimmungen in die Praxis umzusetzen: sofortiger Abfluss von Zig Milliarden Euro aus den einzelnen Staatshaushalten, Ernennung von EU-Kommissaren für Kontrollaufgaben unter absolutem Verstoß gegen die Souveränität der Parlamente aller Länder, weil allen Regierungen unabhängig vom Willen der Völker die „Schuldenbremse“ diktiert werden soll.

Sie negieren den wirklichen Inhalt der politischen Vertretung durch die Wahlen und damit die Demokratie.

****

Wir verurteilen die Entscheidung der Troika (IWF, EZB, EU), das griechische Volk zu einem Schicksal zu verurteilen, das in Friedenszeiten in Europa ohnegleichen ist, indem sie ihr das schon in Portugal angewandte Memorandum diktierte.

Genauso will die Troika binnen kurzem gegenüber dem spanischen und italienischen Volk verfahren. Wir wissen, dass diese ganz oben auf der Liste stehen, und bezeugen, dass die gleichen Verfahren schon in unseren Länden in Gang gesetzt wurden.

Deshalb verpflichten wir uns, mit allen unseren Mitteln den vom griechischen Volk begonnenen Kampf für die Annullierung des Memorandums, der auch unser Kampf ist, zu unterstützen.

Wir verurteilen die Sparprogramme und Strukturreformen, die überall verabschiedet werden und zu den gleichen Ergebnissen wie in Griechenland führen.

Wir verpflichten uns, mit unseren eigenen Mitteln jeden Tag die Informationen über alle Kämpfe in Europa – auch die anscheinend kleinsten Bewegungen – gegen diese Sparprogramme zu verbreiten und an die Arbeitnehmer und Organisationen in unseren eigenen Ländern weiterzuleiten, um das gemeinsame Handeln zu verstärken.

Mit dieser Verpflichtung möchten wir nach Kräften dazu beitragen, den Kampf der gesamten Arbeiterschaft und Völker des Kontinents zu stärken, um die Troika zu besiegen kann und der Weg für eine Lösung im Interesse unserer Völker frei zu machen.

****

Wir beteiligen uns an allen Kämpfen, die zu der Bewegung des Widerstandes beitragen, die aktuell Europa erschüttert.

Deshalb erklären wir unsere Solidarität mit dem Generalstreik in Spanien, der am 29. März das Land erschüttert hat und zu dem die Gewerkschaftsführungen von UGT und CCOO vereint aufgerufen haben, um die Verabschiedung der Arbeitsrechts„reform“ unter EU-Diktat zu verhindern; Solidarität mit dem Streik der Bergarbeiter, die heute nach Madrid marschieren, um ihre Arbeitsplätze zu retten.

Wir sind solidarisch mit dem griechischen Volk, das in den Wahlen am 6. Mai (und erneut am 17. Juni) allen Parteien eine deutliche Abfuhr erteilt hat, die nicht für die Annullierung des von der Troika diktieren Memorandums eintreten.

Wir sind solidarisch mit der Mobilisierung der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes und der Metallindustrie in Deutschland, die mit ihren Gewerkschaften ver.di und IG Metall die Erpressung im Namen des Schuldenabbaus wie der angeblichen „Wettbewerbsfähigkeit“ zurückgewiesen haben und nach zehn Jahren Lohnverzicht berechtigte Tariferhöhungen gefordert und teilweise erkämpft haben.

Der unwiderstehliche Wille der Arbeitnehmer und Völker zum Widerstand bahnt sich seinen Weg. Er beginnt sich bis in die Spitzen der Zig Millionen Mitglieder starken Arbeiterorganisationen in unseren Ländern Gehör zu verschaffen.

Einen kräftigen Ausdruck findet dieser Widerstandswille in den Aufrufen der Führungen von ver.di, GEW und DGB in Deutschland gegen die Ratifizierung des Fiskalpaktes, in der gleichen Position der CGIL-Führung in Italien, sowie von der CGT in Frankreich. In der französischen CGT-FO vermehren sich auf allen Ebenen die Stellungnahmen gegen die Ratifizierung des Fiskalpakts.

Eine Hoffnung keimt auf. In jedem unserer Länder verstärkt sich die Überzeugung, dass „das Spiel keineswegs schon aus ist“.

****

Kritische Stimmen gegen die Diktatur der Troika werden bis in die Führungen von Parteien hinein laut, die sich zu bedingungslosen Verteidigern der EU-Politik und ihrer Verträge gemacht haben und in diesem Sinne den traditionellen (politischen und gewerkschaftlichen) Arbeiterorganisationen in den Rücken gefallen sind und die Angriffe auf sie ermöglicht haben.

 Kritische Stimmen werden laut bis in die Parlamentsfraktion der deutschen SPD hinein, von der die Mehrheit für die Ratifizierung gestimmt hat. Einige SPD-Abgeordnete haben positiv reagiert auf die Aufrufe von Arbeitnehmern, die schließlich in Stellungnahmen der Gewerkschaftsführungen verstärkt wurden.

Sie haben die Fraktionsdisziplin gebrochen, um gegen den Vertrag zu stimmen, was sie ehrt und wofür wir sie unterstützen.

In diesem Sinne begrüßen und unterstützen wir die Reden gestern am 29. Juni in Berlin auf der Kundgebung vor dem Bundestag, die von der Berliner AfA und dem Berliner Ver.di-Bezirk und von Kräften der „Linken“ (die vor dem Karlsruher Verfassungsgericht eine Klage gegen den Vertrag eingereicht hat) während der Abstimmung über den Fiskalpakt im Bundestag organisiert wurde, während 23 SPD-Abgeordnete mit Nein stimmten. In diesem Sinne beteiligen wir uns in Deutsch-land an dem weitergehenden Kampf für die breiteste Einheit gegen die Ratifizierung, ein Kampf der heute in Frankreich neuen Auftrieb durch 60.000 Unterschriften für einen Appell gegen die Ratifizierung erhält.

****

Ein neues Kapitel wird in Europa aufgeschlagen, und wir beschließen, darin bewusste und organisierte Akteure zu werden.

Nichts kann rechtfertigen, dass die arbeitende Bevölkerung in unseren Ländern in immer größerer Zahl, dass die große Mehrheit der Jugend, wie auch die Rentner, noch länger in Elend und Verzweiflung gestürzt werden, damit die Finanzfonds, die Banken und die Aktionäre der Großkonzerne ungeheure Reichtümer (als Ergebnis der Ausbeutung der Lohnarbeit) in den Steuerparadiesen des Planeten anhäufen.

Es gibt keine dringlichere Aufgabe, als – gemeinsam in ganz Europa und in organisierter Weise – der Arbeiterschaft mit unserer ganzen Kraft zu helfen, ihre Einheit zu verwirklichen, die Hindernisse für die Zusammenfassung ihrer Kräfte in ganz Europa zu überwinden; für den Kampf gegen die Ratifizierung des schändlichen Fiskalpaktes, für seine Aufhebung, nachdem er verabschiedet ist, und für den Kampf gegen seine Umsetzung mithilfe von Sparprogrammen. Es ist an der Zeit, sämtliche Kräfte einzusetzen, über die die Arbeitnehmer verfügen – wenn sie vereint handeln –, um die Aufhebung aller „Strukturreformen“ des Arbeitsmarktes zu erkämpfen, die Kanzler Schröder in Deutschland seit 2003 eingeführt hat und welche die Troika heute auf Spanien, Italien und Frankreich ausweiten will.

Es ist an der Zeit, dass wir uns zusammenschließen, um die Aufhebung aller europäischen Verträge zu erkämpfen, die (in den letzten 30 Jahren) starke Industriebranchen in ihrem Kern und ertragreiche Landwirtschaften zerstört haben und alle damals vorhandenen Systeme der sozialen Sicherheit, des Gesundheits- und Bildungswesens chaotisiert haben.

Trotz aller Hindernisse und Behinderungen, die besonders belastend sind, wenn sie aus der Mitte der Arbeiterbewegung selbst kommen, geht von der Arbeiterschaft eine enorme Kraft und Kampfbereitschaft aus. Das beweisen alle unsere Beiträge auf dem Treffen in Köln.

Setzen wir uns dafür ein, diese Kraft zu sammeln und zu organisieren, denn nur die solidarische, uneigennützige Zusammenarbeit der Arbeitnehmer unserer Länder, befreit vom Joch der Krisenanforderungen des Kapitals und seiner Werkzeuge (IWF, EU, EZB) kann eine Perspektive eröffnen für einen tatsächlich „freien Bund der freien Völker und Nationen Europas“, für das wirkliche Europa des Friedens und der Gerechtigkeit.

Das ist der Sinn unseres Aufrufs an unsere Kolleginnen und Kollegen in ganz Europa.

****

Auf der Grundlage der Entwicklung einer neuen Situation, die sich eröffnet, beschließen wir einen neuen Schritt zu tun – in der Kontinuität der „Komitees“, die wir 2010 in Berlin und im April 2012 in Madrid konstituiert haben – und heute, am 30. Juni in Köln, ein wirkliches „Europäisches Verbindungskomitee“ zu gründen, mit dem wir diesen Kampf organisieren können. Es soll die Verbindungen zwischen den engagierten Kollegen, die die Unabhängigkeit ihrer Arbeiterorganisationen gegen jede Unterwerfung unter die Europäische Union und deren Verträge verteidigen, enger knüpfen.

Organisieren wir uns, um uns gegenseitig über die Entwicklungen in jedem unserer Länder zu informieren, lasst uns alle Stellungnahmen und Initiativen sammeln, die in die Richtung des politischen Kampfes gehen, den wir gemeinsam zu führen beschlossen haben. Informiert uns über eure Aktionsvorschläge, die ihr in diesem entscheidenden Kampf für nötig erachtet.

 


Einladerkreis:

Henning Frey, Paul Paternoga, Matthias Cornely, H.-W. Schuster, Gotthard Krupp (Initiative „Nein zu ESM und Fiskalpakt“)

Kontakt:

E-Mail: GotthardKrupp@t-online.de; Fax: 030/3131662

 


Zum Seitenanfang...