OFFENER BRIEF an die Verantwortlichen und die Bundestagsabgeordneten der SPD

Die „Föderalismusreform“ würde die Grundlagen der Demokratie in der Bundesrepublik Deutschland zerstören

Ihr habt nicht das Recht, dafür zu stimmen

Ihr habt nicht das Recht, euch den Merkel-Stoiber zu unterwerfen und die SPD mitverantwortlich zu machen für die Zerstörung der verfassungsmäßigen Grundsätze, die 1949 die Bundesrepublik als einheitlichen „demokratischen und sozialen Bundesstaat“ konstituierten.

Die Situation ist äußerst ernst

Merkel will das „Reformtempo“ beschleunigen. Sie will die von Schröder begonnene Demontage der politischen und sozialen Errungenschaften der ArbeitnehmerInnen und des Volkes bis zu Ende treiben. Dafür sollen die juristischen und institutionellen Hindernisse, die dieser Zerstörung entgegenstehen, beseitigt werden. - Sie drängt darauf, diesen Gesetzentwurf, der im Koalitionsvertrag enthalten ist, und der nicht weniger als 40 Änderungen des Grundgesetzes vorsieht, noch vor dem Sommer verabschieden zu lassen.

Welcher Bürger kann von sich behaupten, ehrlich über die Umwälzungen informiert worden zu sein, die uns diese „Föderalismusreform“ bescheren will?

Warum muss verschleiert werden, was mit Recht die größte Verfassungsrevision der Bundesrepublik seit 1949, was mit Recht ein Verfassungsumsturz genannt werden muss?

Untersuchen wir, was Experten dazu sagen:

In der Vorbereitungszeit der „Föderalismusreform“ schreibt der Politikwissenschaftler Wolfgang Renzsch: „Der Abbau nationalstaatlicher Regulierungen“ infolge der europäischen Integration „setzt die regionale Ebene einem verschärften Standortwettbewerb aus. Gleichzeitig kann der Nationalstaat nicht mehr wie bisher Schutzmacht insbesondere seiner schwachen Regionen sein, da das Europa-Recht einem Subventionswettlauf entgegensteht. Insbesondere schwächere Branchen und Regionen sehen sich einem erhöhten Wettbewerbsdruck ausgesetzt... Zusagen wie die ‘Wahrung der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse‘ im GG für die Bundesrepublik Deutschland sind daher nicht haltbar.“

Was bedeutet das? Ganz einfach: im Namen der Anpassung der Institutionen der Bundesrepublik an das EU-Recht ist es dem Staat in Zukunft verboten, einzugreifen, um allen BürgerInnen das Recht auf einheitliche Lebensbedingungen zu garantieren.

Brüssel verbietet nicht nur dem Staat das Eingreifen, um in Schwierigkeit geratene Betriebe und Arbeitsplätze (wie z.B. AEG) zu schützen, sondern es wäre ihm danach strikt untersagt, einem Bundesland oder einer Kommune zu helfen, deren dramatische soziale Situation das erforderlich macht…

 Wohin gehen wir? Das würde Deutschland dem Zerfall ausliefern!

Der „Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit“, der den Gesetzentwurf vorbereitet hat, macht noch präzisere Angaben. Er schreibt, dass die jetzigen Gesetzentwürfe die verfassungsrechtlich definierte Unterwerfung der öffentlichen Haushalte unter die Maastrichter Defizitkriterien, unter den „Stabilitätspakt der EU“ vorsehen. Unter dem Etikett „Nationaler Stabilitätspakt“ werden Bund und Länder zur Haushaltsdisziplin und Schuldenbegrenzung verpflichtet und dazu, Sanktionsmaßnahmen der EU gemeinsam im Verhältnis 65 zu 35 zu tragen.

D.h.: Schluss mit dem gesamtstaatlichen Finanzausgleich, der Bundesstaat, Bundesländer und auch Kommunen solidarisch miteinander verbindet! Jede Überschreitung der Maastricht-Kriterien für das öffentliche Haushaltsdefizit, aber auch jeder sonstige Verstoß gegen das EU-Recht, von welcher Gebietskörperschaft auch immer, wird durch eine Zahlung an die Europäische Union bestraft.

Unter dem Gebot der Defizitkriterien und mit der Verabschiedung des Bundesstaates aus den gesamtstaatlichen Aufgaben, aus dem öffentlichen Dienst, der Bildung, der öffentlichen Daseinsvorsorge, werden Länder und Kommunen in einen erbarmungslosen Wettlauf der Deregulierung und Privatisierung der staatlichen Aufgaben und der öffentlichen Daseinsvorsorge getrieben, in einen Dumpingwettlauf der Sozialstandards und Löhne, der Flucht aus den Flächentarifverträgen, des Ausverkaufs kommunalen Eigentums, der kommunalen Demokratie

Um ihre Schuldenlast abzuschütteln, verkaufte jetzt die Stadt Dresden ihre gesamten 48.000 kommunale Wohnungen an einen US-Investor. Dieser Vorgang droht allen Kommunen. Er würde nicht nur zur Regel werden, sondern von der Revision des Grundgesetzes vorangetrieben. Wann folgen die vielleicht noch letzten kommunalen Krankenhäuser und Altenheime, wann die Universitäten, Schulen... und die Gefängnisse? Die Föderalismusreform will es möglich machen.

Kann man das hinnehmen?

Haben sie recht oder nicht,

– wenn Ralf Stegner, SPD-Innenminister von Schleswig-Holstein, davor warnt: „Eine Föderalismusreform, die nicht die Länder insgesamt stärkt, sondern die Kluft zwischen armen und reichen Ländern noch verschärft, ist falsch (...) Was sich aber im öffentlichen Dienst abzeichnet, ist ein aggressiver Wettbewerbs-Föderalismus zu Lasten der kleinen Länder“

- „Sozialdemokraten haben im Bundestagswahlkampf für den Flächentarifvertrag gekämpft. Im öffentlichen Dienst droht jetzt eine Kleinstaaterei, mit der die Aufgabe eines Flächentarifs (...) erzwungen wird“;

– wenn Peter Struck, der Vorsitzende der SPD-Fraktion im Bundestag, unter derem Beifall Bedenken anmeldet: gegen das Verbot von Finanzhilfen des Bundes an die Länder besonders im Bildungsbereich; gegen die drohende Rechtszersplitterung in der Umweltpolitik und unterschiedliche Qualitätsstandards für Altersund Behindertenheime sowie für den Strafvollzug.

Wenn schließlich Wolfgang Thierse, SPD-Vizepräsident des deutschen Bundestages, sich dagegen auflehnt, dass die Föderalismusreform „zur Verewigung des ostdeutschen Rückstandes führt“. Vertreter der CDU/CSU entfesseln eine wahre Kampagne, um im Rahmen dieser „Reform“ schon jetzt eine „Beschränkung“ der Leistungen aus dem gesamtstaatlichen solidarischen Finanzausgleich für die ostdeutschen Länder durchzusetzen.

Das wäre eine Katastrophe. Unsere KollegInnen in den östlichen Bundesländern würden im Stich gelassen, es wäre ein Kopfsprung in den „Wettbewerbsföderalismus“ der EU und des Maastrichter Vertrages. Wir würden gegeneinander ausgespielt für den Profit der Unternehmer, der multinationalen Konzerne und des Finanzkapitals.

Der DGB warnt „vor Gefahren für den politischen und sozialen Zusammenhalt im Bundesstaat“.

Wie ist es vorstellbar, dass die SPD sich zum Komplizen der Zerschlagung des „demokratischen und sozialen Bundesstaates“ macht, der 1949 gegründet wurde, um das Land aus den Ruinen auferstehen zu lassen und jedem Bürger gleiche Grundrechte und Lebensverhältnisse zu garantieren?

Wie ist es möglich, dass die SPD sich verantwortlich dafür machen lässt, das alles kaputt zu regieren?

Zwar hat die Schröder-Regierung die verheerende Demontage des Sozialstaates begonnen, mit den Hartz-Gesetzen, der Gesundheits„reform“ usw.

Und jetzt soll eine weitere Etappe folgen?

Nein, das reicht! Genug ist genug!

Gibt es einen anderen Ausweg, um das Land zu verteidigen, um seine soziale Einheit zu retten, auf die 1989 das gesamte deutsche Volk hoffte?

Gibt es einen anderen Ausweg, um die Solidarität zwischen den Bundesländern zu erhalten und die SPD vor der Katastrophe zu retten, als das niederträchtige Abkommen zur Föderalismusreform aufzukündigen, das Stoiber und Müntefering heimlich hinter dem Rücken des Volkes und gegen den Willen der SPD-Mehrheit abgeschlossen haben?

Abgeordnete und Verantwortliche der SPD:

Ihr habt nicht das Recht, diesem Gesetz zuzustimmen.

Ihr habt nicht das Recht, alles ruinieren zu lassen, wofür die SPD steht, nur weil Ihr euch einem Koalitionsvertrag unterordnet, der nichts anderes bringt als eine Umsetzung der EU-Politik für Deutschland.

Ihr wisst, dass das DGB-Plakat, auf dem Deutschland in 16 Kleinstaaten zersprengt wird, die Wahrheit sagt.

Ihr wisst außerdem, dass es sich nicht nur um eine Rückkehr zum 19. Jahrhundert handelt, sondern um eine Balkanisierung und Zerstörung des Sozialstaates und damit Deutschlands.

 Ihr wisst, was bereits in den Schulen in Mecklenburg oder auch in Bremen passiert. Sie schlagen Alarm, weil bald Grundschullehrer und Lehrer für naturwissenschaftliche Fächer fehlen.

Denn die reicheren Länder nutzen die Deregulierung der Arbeitszeit für Beamte (seit 2004), um im „Wettbewerb“ mit den armen Ländern Lehrer abzuwerben.

Ihr wisst, dass es sich dabei nur um einen kleinen Vorgeschmack auf das handelt, was sich mit der „Föderalismusreform“ anbahnt. Das „Hochschulfreiheitsgesetz (!)“ der CDU/FDP-Landesregierung von NRW ist eine einzige Demonstration dafür, was die Föderalismusreform der gesamten Gesellschaft bescheren will: wie man sich von staatlichen Aufgaben „befreit“.

 Dort entscheidet die Regierung, die Hochschule als staatliche Einrichtung abzuschaffen und aus der Landeshaushaltsordnung zu „befreien“. Sie wird in ein autonomes Unternehmen verwandelt, mit dem Recht, Privatunternehmen zu gründen. Die Landesbeschäftigten werden zu Beschäftigten des Unternehmens Hochschule, herausgebrochen aus dem bundeseinheitlichem Dienst- und Tarifrecht. Mit der Einführung von Studiengebühren werden die Studenten vom kostenlosen Studium „befreit“, noch in ihrer Ausbildungszeit dürfen sie sich verschulden und den befreienden Klauen des Finanzkapitals ausliefern.

Ihr wisst, dass nur die gesamtstaatliche Verantwortung für Bildung, Berufsbildung, Hochschulbildung und deren Finanzierung, für die einheitliche Besoldung und den Flächentarifvertrag des Personals im öffentlichen Dienst allen Jugendlichen das demokratische und soziale Recht auf kostenlosen und freien Zugang zu Bildung, Ausbildung und Studium garantieren kann.

Ihr wisst, dass die „Föderalismusreform“ dem System der Flächentarifverträge das Grab schaufelt ... und eine dramatische Verschlechterung der bereits laufenden Entwicklungen vorbereitet. Die öffentlichen Arbeitgeber, besonders die CDU-Vertreter, organisieren aggressiv die Zertrümmerung des Flächentarifvertrages. Sie handeln so, als wäre die Föderalismusreform bereits beschlossene Sache. Sie konfrontieren die KollegInnen und ihre Organisationen mit dem Angriff auf die Garantie der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse. An der Stelle des Flächentarifvertrages wollen sie den Flickenteppich tarifloser Zustände und betrieblicher Vereinbarungen.

Dagegen streiken die KollegInnen im öffentlichen Dienst seit mehreren Wochen. Sie verteidigen ihren tariflichen Lohn und ihre Arbeitszeit – ihren Flächentarifvertrag. Aber auch das demokratische Grundrecht der gewerkschaftlichen Verhandlungsfreiheit, der Existenz unabhängiger Gewerkschaften!

Kein Sozialdemokrat kann dulden, dass mit der Föderalismusreform der Flächentarifvertrag, der beste Garant für einheitliche Lebensverhältnisse, mit ihm die Tarifautonomie und die freien und unabhängigen Gewerkschaften beerdigt werden sollen.

Versteht ihr nicht, dass die Mobilisierung der Millionen ArbeitnehmerInnen und Jugendlichen in Frankreich, in Generalstreik und Demonstrationen, ein Echo bei den Arbeitnehmern und dem Volk in Deutschland finden? Die französische Regierung will mit dem CPE eine zweijährige „Probezeit“ für Jugendliche ermöglichen, in der die Unternehmer sie ohne Begründung jederzeit entlassen können  – 2 Jahre rechtlos, in Sklavenverhältnissen. Soll die arbeitende Bevölkerung in Deutschland die völlige Zersetzung ihres Flächentarifvertrages, ihres Kündigungsschutzes und Arbeitsrechts einfach so hinnehmen? In Artikel 20 des Grundgesetzes steht: „Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung (den demokratischen und sozialen Bundesstaat) zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand.“

Dieser Widerstand ist geboten!

Was für alle deutschen Bürger gilt, gilt in erster Linie für Euch, die SPD-Bundestagsabgeordneten.

Wir wenden uns an die Abgeordneten der SPD im Bundestag:

Kann es sein, dass diese „Reform“ die Stimme auch nur eines einzigen Sozialdemokraten erhält?

Stimmt mit NEIN zur Föderalismusreform!

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