H.-W. Schuster (Düsseldorf - SPD, AFA-UB-Vorsitzender)

Brief an die Kollegen der AFA 

Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Genossinnen und Genossen,

nicht nur angesichts der Umfrageergebnisse, die für die Partei denkbar schlechte Ergebnisse prognostizieren, wende ich mich wenige Wochen vor der entscheidenden Landtagswahl am 22. Mai in NRW mit dieser Erklärung an Euch.

Tatsächlich: Nichts ist entschieden!

Sechs Wochen vor der Wahl sind rund 50% der Wähler/-innen nicht sicher, ob sie wählen gehen. In einem aufsuchenden Wahlkampf sollen sie nun überzeugt und gewonnen werden.

Dazu stelle ich zwei Fragen: Warum? Wodurch?

Warum sind große Teile der sozialen Basis der Partei angesichts der ohne Zweifel wichtigen Wahlentscheidung in NRW, mit all ihren Auswirkungen auf die Regierungsmehrheit und v.a. –fähigkeit in Berlin, noch nicht „sicher“?

Wodurch, mit welcher Perspektive, welchen überprüfbaren politischen Zielen, die mit positiven Veränderungen – wenn Ihr so wollt, tatsächlichen Reformen, im eigentlichen Sinn des Wortes - für unsere Wählerschaft verbunden sind, soll sie überzeugt und gewonnen werden?

Während die CDU in Oberhausen meint, sie werde nach fast vier Jahrzehnten NRW übernehmen können, warb Bundeskanzler Schröder beim Wahlkampfauftakt in Dortmund um Verständnis für seine Reformpolitik. „Wir brauchen Nordrhein-Westfalen, um unsere Linie im Bund fortzuführen“. Ministerpräsident Peer Steinbrück warnt vor dem „schwarzen Dreiklang der Einschränkung der Tarifautonomie, des Kündigungsschutzes und der Mitbestimmung.“ 

Kommentatoren schrieben: „mit dem wirklichen Leben hat die Show der Parteien am Wochenende wenig zu tun.“

Die Arbeitnehmerhaushalte, die über eine Million Erwerbslosen und ihre Familien sind sicherlich angesichts ihrer zunehmend prekären Situation alles andere als der Meinung, dass in NRW alles „Peerfekt“ oder „Supeer“ ist, wie die dem amerikanischen Wahlkampf entnommenen Pappschilder in Dortmund Glauben machen wollen.

Die Arbeitnehmer/-innen und Erwerbslosen in NRW wollen und brauchen Antworten von der SPD und ihren Kandidat/-innen zur Lösung der Probleme in ihrem „wirklichen Leben“. 

Die Ergebnisse der bisherigen Wahlen und die Umfrageergebnisse unter den Bedingungen der Politik der Umsetzung der „Agenda 2010“ von Bundeskanzler Schröder zeigen, dass die Situation vor dem Zerreißen steht. 

Wir alle wissen, welche Angriffe nach einer Niederlage der SPD in NRW gegen die Arbeitnehmer/-innen und ihre Rechte und Errungenschaften von CDU/FDP angekündigt und vorbereitet sind. Doch CDU/FDP stützen sich unmittelbar auf Schröder und seinen Kurs. Sein Appell, „wir brauchen Nordrhein-Westfalen, um unsere Linie im Bund fortzuführen“, zeigt in aller Klarheit, mit ihm wird es keine Lösung der drängenden Probleme der arbeitenden Bevölkerung geben, sondern die konsequente Fortführung des Kurses der Agenda 2010, den Arbeitnehmer/-innen und ihre Familien mit Massenarbeitslosigkeit, Abbau sozialer Errungenschaften und Einschränkung von Arbeitnehmerrechten teuer bezahlen, während das Kapital, massiv entlastet, seine Profite maximiert.

Es ist dieser Kurs Schröders, getragen von seinen Vertretern in NRW, der die Arbeitnehmer/-innen aus der SPD vertreibt und die Parteibasis zerstört.

Sind die 50%, die noch nicht entschieden haben, ob sie wählen werden, mit Steinbrücks Warnung vor dem „schwarzen Dreiklang“ zu überzeugen? Er warnt z.B. vor der Einschränkung der Tarifautonomie. Es ist aber die von ihm geführte Landesregierung, die die Landesbeschäftigten in einen tariflosen Zustand geführt hat. Er ist verantwortlich für die beispiellosen Angriffe auf den BAT/BMT-G, er brüstet sich, als einer der ersten Ministerpräsidenten die Zuwendung (13. Gehalt) gekürzt, das Urlaubsgeld gestrichen und die Arbeitszeit auf 41 Stunden hochgeschraubt zu haben. 

Angesichts sinkender Löhne, angesichts über einer Million Arbeitsloser allein in NRW, angesichts der Folgen von Hartz IV, den Ein-Euro-Jobs, der verschärften Zumutbarkeitsregelung und Entrechtung Arbeitsloser ruft uns die Parteiführung in NRW mit folgenden Hinweisen auf: „Für uns als Sozialdemokraten gilt: Gesellschaftlicher Zusammenhalt und ökonomischer Erfolg sind keine Widersprüche, sie bedingen sich gegenseitig. Wir entlasten Unternehmen bei der Steuer und bauen Bürokratie ab, damit neue Arbeitsplätze entstehen. Und wir fördern Arbeitslose durch Hilfen beim Berufsstart, Eingliederungszuschüsse für ältere Arbeitnehmer und Ausweitung der Hinzuverdienstmöglichkeiten.“

Vor dem World Economic Forum in Davos hatte Schröder am 28.1.05 wesentlich klarer diesen Kurs beschrieben und erklärt: „Wir müssen und wir haben unseren Arbeitsmarkt liberalisiert. Wir haben einen der besten Niedriglohnsektoren aufgebaut, den es in Europa gibt. (...) Wir haben einen funktionierenden Niedriglohnsektor aufgebaut, und wir haben bei der Unterstützungszahlung Anreize dafür, Arbeit aufzunehmen, sehr stark in den Vordergrund gestellt. Es hat erhebliche Auseinandersetzungen mit starken Interessengruppen in unserer Gesellschaft gegeben. Aber wir haben diese Auseinandersetzungen durchgestanden.“ 

Sollen die Ortsvereinsmitglieder tatsächlich mit dem Hinweis „wir entlasten Unternehmen bei der Steuer und bauen Bürokratie ab, damit neue Arbeitsplätze entstehen“ an den Türen der Arbeitnehmer/-innen, der Erwerbslosen, der Jugendlichen in den Stadtteilen klingeln? 

Sollen die Ortsvereinsmitglieder die, die zu den Infoständen kommen, auch noch verhöhnen? 

Sie alle wissen, es ist die SPD-geführte Landesregierung, die verantwortlich für den tausendfachen und in der Tat lebensbedrohlichen Bettenabbau in den Krankenhäusern ist. Es ist dieser Kurs, der Unternehmer entlastet, Kranke aber zunehmenden Risiken aussetzt und Krankenschwestern – trotz steigender Patientenzahlen – mit dem Stellenabbau bedroht.

Diese Landesregierung hat die gesetzlichen Grundlagen für die massivste Privatisierung des gesamten Sektors der Altenpflegeheime geschaffen, um diesen Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge – ganz im Sinne der Vorgaben der EU und des „Bürokratieabbaus“ – den Profitinteressen des Kapitals zu unterwerfen.

Es war Ministerpräsident Steinbrück, der sich begleitet von den Pfiffen der Opel-Kollegen gegen ihren Streik zur Verteidigung ihrer Arbeitsplätze und des Standortes Bochum ausgesprochen hat und sie aufforderte, die Arbeit wieder aufzunehmen. 

Über eine Million der offiziell registrierten Arbeitslosen leben in NRW. Die großen Städte des Ruhrgebietes, Gelsenkirchen, aber ebenso Dortmund oder Duisburg weisen Arbeitslosenzahlen aus, die wir bisher nur aus dem entindustrialisierten Osten Deutschlands kannten. Das ist die Folge des von Steinbrück und Schartau gelobten „Strukturwandels“. Für diesen beispiellosen industriellen Kahlschlag müssen die Kolleginnen und Kollegen, die in die Erwerbslosigkeit gestoßen wurden, mit ihren Familien teuer bezahlen.

Es ist Ausdruck des Kurses von Schröder oder von Steinbrück in NRW, sich nicht nur gegenüber den berechtigten Forderungen der Wählerbasis der SPD zu verweigern, sondern sich gleichzeitig sich für den „besten Niedriglohnsektor“ und die Entlastung der Unternehmer bei der Steuer zu loben, um dann weitere harte Einschnitte anzukündigen und durchzuführen. Schröders Appell, „wir brauchen Nordrhein-Westfalen, um unsere Linie im Bund fortzuführen“, kann da nur als Drohung verstanden werden. Mit diesem Kurs zerstören sie sowohl die materielle Basis der Arbeitnehmerschaft und auch die SPD als Partei der Arbeitnehmer/-innen in Deutschland. 

Eine Niederlage der SPD in NRW Kernland der SPD und der Arbeiterbewegung, in dem sie seit 38 Jahren regiert, wäre eine Katastrophe für das Land und für die SPD. 

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

liebe Genossinnen und Genossen,

ich meine, dass wir nicht wort- und tatenlos die Situation hinnehmen können.

Die Arbeitnehmer/-innen, die Erwerbslosen und die Jugend brauchen aber beides: Sie brauchen die Rücknahme der Angriffe auf ihre Rechte und Errungenschaften und die Partei, die das tut. Das verlangt, dass die SPD Schröder los wird und damit diesen Kurs, der in die Niederlage führt, der droht, NRW an CDU und FDP auszuliefern. 

Die arbeitende Bevölkerung und Jugend brauchen eine SPD und Kandidatinnen und Kandidaten, die im Bruch mit Schröder für die Rücknahme der Maßnahmen gegen die Interessen der arbeitenden Bevölkerung eintreten. Die Verteidigung der Interessen der arbeitenden Bevölkerung und die Verteidigung der SPD als Partei der Arbeitnehmer/-innen in Deutschland verlangt für NRW z.B. die sofortige Aufhebung aller Maßnahmen zur Zerstörung des Tarifvertrages im öffentlichen Dienst. Dies entspricht den Forderungen der streikenden Kolleginnen und Kollegen, nicht nur im Land.

Der Bruch mit diesem unsäglichen Kurs ist zugleich die Basis für die Entfaltung der Kraft, die eingesetzt werden kann, gegen Schröder und seinen zerstörerischen Kurs.

Das entspricht dem Willen der Millionen, allen voran die Gewerkschaftsmitglieder, die 2000 in NRW und 2002 im Bund der SPD Mandat und Stimme gegeben haben für die Durchsetzung ihrer Interessen. Dies ist zugleich die einzige Grundlage für die Verteidigung der SPD als Partei der Arbeitnehmer/-innen in Deutschland, das ist die einzige Grundlage für die Eroberung der Stimmen der Mehrheit, der arbeitenden Bevölkerung in Betrieben, Verwaltungen und Stadtteilen, der Stimmen der Jugend...

Denn sie brauchen eine SPD in NRW die antritt, die Interessen der arbeitenden Bevölkerung und Jugend gegen die Arbeitsplatzvernichtung, die Betriebsschließungen, gegen die Zersetzung der Tarifverträge, gegen Bildungskürzungen und die Verweigerung von Ausbildungsplätzen verteidigt, eine SPD, die antritt zur Verteidigung der öffentlichen Daseinsvorsorge, gegen das Diktat der Deregulierung und Privatisierung der EU.

Sie brauchen keine SPD, die antritt für den besten Niedriglohnsektor, für die Entlastung der Unternehmen etc..

Es gilt:

  • Keine Stimme von Arbeitnehmer/-innen und Jugendlichen an die bürgerlichen Parteien, an CDU und FDP!
  • Keine politische Perspektive erhalten Arbeitnehmer/-innen und Jugendliche von denen, die sich als „Wahlalternative“ präsentieren, die nicht die politische Vertretung der Arbeitnehmer/-innen sein wollen, können und werden, weil sie nicht eintreten für die Verteidigung der Errungenschaften der Arbeitnehmer/-innen und Jugend. Die aber vor allem die Arbeitnehmer/-innen und die Jugend abhalten wollen von dem Kampf und der Mobilisierung gegen Schröder und seine SPD-Politik – für den Sieg der SPD, die sich auf die politische Vertretung ihrer Interessen und Forderungen verpflichtet. 

Auf dieser Grundlage wenden wir uns an die Arbeitnehmer/-innen, die Erwerbslosen, Jugendlichen...:

Die Weigerung vieler von Euch, für die zu stimmen, die Schröders Politik und Kurs in NRW umsetzen, verstehen wir. Das entscheidende Hindernis ist Schröder und seine Politik! Die SPD muss Schröder loswerden, das ist der Weg für die Entfaltung der Mobilisierung der arbeitenden Bevölkerung und Jugend für die Eroberung des Wahlsieges für die SPD. Sie muss die Forderungen und Interessen der Arbeitnehmer/-innen und der Jugend aufnehmen und vertreten, für u.a.

  • die Aufhebung von Hartz IV, der Zumutbarkeitsregelungen und der Ein-Euro-Jobs
  • die Verteidigung der Arbeitsplätze gegen die Politik des Strukturwandels und des industriellen Kahlschlags,
  • die Rücknahme aller Angriffe auf den  BAT und BMT-G der Landesbeschäftigten: Rücknahme der 41-Stunden-Woche, der Streichung des Urlaubsgelds und der Kürzung der Zuwendung.

Wir sind überzeugt. Nichts ist entschieden - das Ruder kann noch herumgerissen werden!           

Wir treten ein für wirkliche sozialdemokratische Politik, sind für den Wahlsieg der SPD!

Mit solidarischen Grüßen

gez. H.-W. Schuster

 

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